Es ist noch nicht lange her, da war es fast ein wenig verpönt, ein «normales Leben» zu führen. Doch seit Corona wütet, sehnt sich eine Mehrheit der Menschen exakt nach diesem «normalen Leben» zurück.
Einkaufen ohne eine Maske tragen zu müssen, einander wieder spontan treffen können, Feste feiern, Sportveranstaltungen besuchen, in die Ferien fliegen, Freunde einladen … Dinge, die bis Anfang 2020 keiner Rede wert und schon fast als langweilig verschrien waren, stehen nun ganz oben auf der Wunschliste. In einer Zeit, in der immer alles besser werden musste hat plötzlich das Normale wieder einen zentralen Platz bekommen.
«In meinem Leben war so ziemlich nichts normal» sagt Werner Wild. Von seinen 65 Jahren war er fast 50 Jahre lang heroinabhängig, lebte jedoch nicht auf der Gasse. Für eine Verpackungsfirma jettete er 15 Jahre in der Welt herum, immer mit etwas Drogen im Gepäck. Inzwischen sind etliche Jahre vergangen, doch erst im Lockdown lernte er, sich selbst nüchtern auszuhalten.
Marc Hofer ist Müllmann und stolz darauf. Seit zehn Jahren übt der Mittdreissiger diesen Job aus und ist zufrieden damit. Nicht normal findet er, wenn er unberührte Esswaren im Abfall mitschleppen muss. Um etwas dagegen zu tun, hilft er in Gossau ehrenamtlich bei «Food-Care» mit. «Food-Care» verteilt nicht mehr benötigte Esswaren an Bedürftige.
Und was hat es mit der vielzitierten «neuen Normalität» auf sich? Krebsspezialist Professor Gerd Nagel sagt über Krisen: «Sie gehören zu unserem Leben. Sie sind schmerzhaft. Sie führen uns oft aber auch zu unseren Ursprüngen.» Solche krankheitsbedingten Situationen bezeichnet Nagel als «neue Normalität». Er motiviert Betroffene, Krisensituationen als «neue Normalität» anzuerkennen und mit neuem Elan damit leben zu lernen.